Donnerstag, 11. September 2014

Gesegnet sei die Zeit...

Er erhebt seine Arme, in seinem weissen Gewand mit wunderschönen Stolen und gold-leuchtendem Schmuck um den Hals. Dann segnet er die Uhr, segnet die Zeit, die uns gegeben ist auf Erden und die guten Stunden. Die Uhr ist eine Schweizer Bahnhofsuhr. Dreitausend Stück hängen an Schweizer Bahnhöfen, in Lyssach genauso wie in Gossau und Neuchatel. Seit einigen Wochen hängt auch eine am Borough Market in London, ein beliebtes Food Paradies für Londoner und Touristen.

Während den Olympischen Spielen stand das 'House of Switzerland' gleich hinter dem Borough Market an der Themse. Sportgrössen und nicht so Grosse trafen sich und sogen die einmalige Atmosphäre der Olympischen Spiele ein. Zum Dank für die Gastfreundschaft des Borough of Southwark (also das Gemeindegebiet, das das House of Switzerland beherbergte), schenkte die Schweiz der Gemeinde eine Mondaine Bahnhofsuhr, die nun über die Zeit am Borough Market wacht. So schaffen es die Touristen auch noch rechtzeitig ins nahe gelegene Tate Modern oder auf den Zug zurück zum Flughafen.


Die Schweizer Bahnhofsuhr am Borough Market


Die Bahnhofsuhr wurde vom Schweizer Botschafter und dem Mayor of Southwark feierlich eingeweiht . Es gab Champagner, Musik von Heidi Happy (die am darauf folgenden Tag auch in der Swiss Church spielte), und die ganze Swiss Community kam zusammen. Für das Team der Swiss Church war es ein willkommener Team Ausflug. Wir sahen alte und machten neue Freunde.

An der Einweihung beteiligt war auch der Bischof der Kathedrale von Southwark, eben er, der die Uhr segnete und ein denkwürdiges Gebet sprach. Eine schöne Idee, die dem Anlass noch eine zusätzliche Tiefe gab. Dann fing ich an eins und eins zusammen zu zählen und kam nur auf drei: auf staatlicher Seite kamen zwei Vertreter zu Wort, auf kirchlicher Seite einer, nämlich der Bischof von Southwark, also Repräsentant der anglikanischen Kirche. Sollte da nicht...? Ja, da sollte! Da sollte auch ich zu Wort kommen, die Pfarrerin der Schweizer Kirche in London. Ich stand etwas perplex da in meinem Kollarhemd, hätte gerne mit dem Kollegen zusammen den Segen gesprochen. Nur bin ich eine Kombination, die man dann in diplomatischen Momenten gerne vergisst. Ich bin eine Frau. Ich bin jung. Und ich repräsentiere eine basisdemokratische Kirche, in der Pfarrpersonen nicht durch Hierarchie und Gewänder die Aura der Macht verliehen wird. Das ist auch gut so. Und gerade deshalb trifft es mich umso mehr 'vergessen' zu gehen. Ich vertrete dieses basisdemokratische Kirchenprinzip mit jeder Faser meines Körpers. Ich nehme es in Kauf, nicht die gleiche Stellung wie ein Priester oder ein Bischof zu haben und deshalb manchmal mit gebundenen Händen da zu stehen. Ich bin da, um andere zu ermutigen, Raum einzunehmen und das Reich Gottes zu gestalten. Nicht ich stehe im Zentrum, sondern die Gemeinde. Aber es gibt trotzdem Momente, da gehöre ich ins Zentrum, als Pfarrerin der Schweizer Auslandgemeinde in London. Zum Beispiel wenn der anglikanische Bischof in Anwesenheit des Botschafters und des Bürgermeisters eine Schweizer Bahnhofsuhr segnet.

Hierarchische Strukturen sind stärker und mächtiger, als wir uns eingestehen. Sogar die demokratische Schweiz lässt sich manchmal blenden. Und ich mich auch. So hat mir die Situation selber wieder einmal vor Augen geführt, dass auch ich mich manchmal von der Aura der Macht einnehmen lasse. Wir tun es alle, ständig. Und wir müssen uns das immer wieder selbstkritisch bewusst machen. Sonst wird das nix mit der Basisdemokratie und der Geschlechtergerechtigkeit.

Bevor ich das Zeitliche segne, gibt es noch viel zu tun.